Geschichte-LK bei der Jugendfreiheitskonferenz „Wege zur Freiheit – Tür zur Einheit“ am 16. Juni 2025

Dieser Einladung zur Jugendfreiheitskonferenz durch Ministerpräsident Michael Kretschmer folgte der Leistungskurs Geschichte 11 am 16. Juni nach Chemnitz in den Lern- und Gedenkort Kaßberg.

Der Lern- und Gedenkort Kaßberg hat eine Geschichte, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt. Begonnen wurde der Bau im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts als Justizkomplex des Königreichs Sachsen. Zu ihm gehörte auch eine Gefangenenanstalt. Von 1933 bis 1945 diente das mittlerweile erweitere Untersuchungs- und Strafgefängnis den Nationalsozialisten zur Inhaftierung zahlloser Menschen, die aufgrund der Ideologie des NS ausgegrenzt, verfolgt und getötet wurden. Nach der Befreiung Deutschlands im Mai 1945 übernahm der sowjetische Geheimdienst NKWD bzw. das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit (MGB) das Kaßberg-Gefängnis. Neben NS-Verbrechern gehörten zu den Untersuchungsgefangenen Menschen, die sich einerseits aus liberaler politischer Überzeugung heraus dem neu entstehenden kommunistischen System widersetzten sowie andererseits jene, die unschuldig Opfer von Denunziation und politischer Willkür wurden. Nach der Übergabe an die DDR-Behörden 1952 diente der Gefängnisbau sowohl dem Ministerium des Innern als auch der DDR-Geheimpolizei als Haftstätte. Hier sperrte das Ministerium für Staatssicherheit tausende politische Verfolgte ein, darunter z. B. Menschen, die der SED-Herrschaft kritisch gegenüberstanden oder versucht hatten, die Grenzen der DDR zu überwinden.

Einer dieser ehemaligen Häftlinge war Andreas Neudert, dessen Geschichte die Schülerinnen und Schüler in einem Workshop mit Zeitzeugeninterview erfahren durften. Andreas Neudert war ein sehr erfolgreicher Motorradrennfahrer in der DDR, der sogar zum DDR-Kader gehörte. Nachdem er aufgrund seiner unpolitischen Einstellung immer wieder Repressalien erleiden musste, versuchte er im Herbst 1988 im Vogtland die Grenze zu Bayern zu überwinden. Trotz seiner ausgeklügelten Hilfsmittel, wie etwa ein Wurfanker und eine zusammenschraubbare Leiter, wurde er von den Grenzsoldaten gefasst. Daraufhin war er ab Oktober 1988 als Untersuchungshäftling der Staatssicherheit im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert. Sein Urteil lautete: »versuchte Republikflucht in schwerem Fall« mit einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Diese musste er im sogenannten „Jugendhaus“ Halle, einer Jugendhaftanstalt der DDR verbringen. Hinter Gittern erlebte er die Friedliche Revolution, die sich dort unter anderem in einem Hungerstreik der Häftlinge äußerte. Schließlich kam er am 15. November 1989, kurz nach dem Mauerfall, in Freiheit.

In einem anderen Workshop beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Schicksal des Eberhard von Cancrin, der während des Aufstandes am 17. Juni 1953 erschossen wurde. Auf seine Spur geriet der Filmemacher Alberto Herskovitz im Jahr 1990 während Dreharbeiten. Er reiste in die Region südlich von Leipzig und lernte dort Hartmut Rüffert kennen. Im Laufe der Reise entstand ein Film rund um das Braunkohlekombinat Espenhain. Hierbei stießen sie auf die Geschichte des Geitheiner Arbeiters Eberhard von Cancrin. Sein Schicksal bewegt heute noch die Menschen, da es bis jetzt nicht aufgeklärt wurde. Dazu entstand ein neuer Film, in dem die Witwe des Opfers, Ruth von Cancrin ihren verzweifelten Kampf beschreibt, das Schicksal ihres Mannes aufzuklären. Nach ihrem Tod haben diese Aufgabe ihre Töchter übernommen. Die Schülerinnen und Schüler schauten sich den Film an und konnten mit den Filmemachern sprechen und Hartmut Rüffert sprechen.

Am Nachmittag fand eine Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer im angrenzenden Karl-Schmitt-Rottluff-Gymnasium statt. Hierzu waren Dr. Nancy Aris (Sächsische Landesbeautragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur), Dr. Martin Böttger (Zeitzeuge) und Andreas Neudert (Zeitzeuge) geladen. Die Schülerinnen und Schüler hatten die Möglichkeit, den freien Stuhl auf dem Podium zu nutzen und Fragen zu stellen. Besonders Michael Kretschmer wurde hier angesprochen. Die Schülerinnen und Schüler nahmen die Gelegenheit sehr rege wahr und zeigten, was sie alles bewegt und wo sie konkrete Hilfe, insbesondere von der sächsischen Politik erwarten.

Dieser Tag war sehr bewegend und spannend. Es ist immer wieder eine unglaubliche Erfahrung, mit Menschen zu sprechen, die in der Vergangenheit Ungerechtigkeiten und Leid zu ertragen hatten.

Wir haben viel erfahren, konnten Einblicke gewinnen und die Podiumsdiskussion war ein wichtiger Abschluss dieser Jugendfreiheitskonferenz.

Text und Bilder: Patricia Strehlau